Zivilgesellschaftliche Beteiligung an Prüfungen – Ansatz der australischen ORKB für Bürgereinbindung in Wirtschaftlichkeitsprüfungen

Por: Isabelle Favre PhD, Directora Senior, y Daniel Whyte, Auditor Principal, Oficina Nacional de Auditoría de Australia

Einleitung 

Im Jahr 2017 veröffentlichte die INTOSAI Entwicklungsinitiative (IDI) die Guidance on Supreme Audit Institutions‘ Engagement with Stakeholders (dt. etwa „Leitfaden zur Stakeholdereinbindung seitens der Obersten Rechnungskontrollbehörden“), die erörtert, wie Oberste Rechnungskontrollbehörden (ORKB) Bürgerinnen und Bürger sowie zivilgesellschaftliche Organisationen (vom Englischen „Civil Society Organizations“ kurz CSOs) zusammen mit anderen wichtigen Stakeholdergruppen in das Prüfungsverfahren einbinden können. Der IDI-Leitfaden führt an, dass „ORKB, die Stakeholder auf verschiedenen Ebenen und mittels unterschiedlicher Mechanismen einbinden, mit ihren Prüfungen größere Wirkung erzielen“ (IDI 2017, 99–100). 

Bürgerbeteiligung kann zu mehreren Zeitpunkten während einer Prüfung stattfinden: in der Planungsphase, während der eigentlichen Prüfung, bei der Verbreitung von Prüfberichten oder im Rahmen von Kontrollprüfungen zu Empfehlungen. Dieser Artikel legt den Schwerpunkt auf die Beteiligung während der Prüfung. Er ergründet einige der von der australischen ORKB (vom Englischen „Australian National Audit Office“ kurz ANAO) verwendeten Ansätze, um Bürgerinnen und Bürger sowie CSOs im Rahmen einer Wirtschaftlichkeitsprüfung, insbesondere während der Feldarbeitsphase, eizubinden.

Zu den Wirtschaftlichkeitsprüfungstätigkeiten des ANAO zählen Prüfungen der Leistung von Australiens staatlichen Programmen und Stellen, wobei der Schwerpunkt auf der Beurteilung der Wirtschaftlichkeit, Effizienz, Wirksamkeit, Ethik sowie der Einhaltung gesetzlicher Bestimmungen und Richtlinien liegt. Das ANAO legte dem Parlament im Zeitraum 2021–22 40 Wirtschaftlichkeitsprüfungen vor und plant, bis 2024–25 jährlich 48 Wirtschaftlichkeitsprüfungen durchzuführen.

ANAO-Anwendung für Bürgerbeiträge

Mitte 2013 beschloss das ANAO alle laufenden Wirtschaftlichkeitsprüfungen über eine webbasierte Anwendung für Beiträge aus der Bevölkerung zu öffnen. Diese Entscheidung wurde im Anschluss an ein erfolgreiches Pilotprojekt der Initiative getroffen, stand im Einklang mit umfassenderen Initiativen der australischen Regierung zur Stärkung des Einsatzes von Technologien, um eine offenere sowie transparentere Regierung zu fördern, und festigte Mechanismen zur Beratung mit der Gesellschaft. Über die Kontaktseite der ANAO-Website und Soziale Netzwerke (Twitter, LinkedIn) kann die Bevölkerung jederzeit Kommentare zu Themen ihrer Wahl abgeben, um beispielsweise Bedenken hinsichtlich eines bestimmten Verwaltungsbereichs zu äußern oder die Berücksichtigung eines potenziellen Prüfthemas zu fordern. Die ANAO-Anwendung für Bürgerbeiträge zielt auf Beiträge ab, die dem Ziel sowie den Kriterien bestimmter Wirtschaftlichkeitsprüfungen entsprechen und als Teil des Beweismaterials, das während der Feldarbeitsphase einer Prüfung erhoben wird, angesehen werden. Mitte Juli 2022 wurden im Rahmen von 21 Wirtschaftlichkeitsprüfungen Beiträge der Bevölkerung angenommen.

Legende: Auf der Homepage der ANAO-Website ist ein Link zu den Prüfungen, die Beiträge annehmen, zu sehen.

The ANAO Website Home Page Offers a Link to the Audits that are Open for Contribution

Quelle: Australian National Audit Office (ANAO)

Die Anzahl der über die Bürgerbeitragsanwendung gesammelten Beiträge variiert von Prüfung zu Prüfung stark. Von August 2021 bis Juli 2022 wurden über 1.000 Beiträge zu 41 Wirtschaftlichkeitsprüfungen eingereicht. 

Die Beiträge werden dem zuständigen Prüfteam sicher zugestellt. Dabei sind die Beitragenden nicht verpflichtet, in ihren Beiträgen auch ihre Kontaktdaten anzugeben. Das australische Datenschutzgesetz von 1998 schützt die Vertraulichkeit der mittels dieser Anwendung erhobenen Informationen und sie können nur zu den im australischen Rechnungshofgesetz von 1997 (siehe Paragraphen 36 und 37) genannten Zwecken und im Einklang mit der Datenschutzrichtlinie des ANAO offengelegt werden.

Bürgerinnen und Bürger wirksam einbinden 

Prüfung umfassend bewerben

Zur Feldarbeit im Rahmen von Wirtschaftlichkeitsprüfungen gehört in der Regel auch die Beratung mit Stakeholdern außerhalb der geprüften Stelle. Diese Stakeholder, u. a. CSOs, können in den Planungs- und Recherchephasen der Prüfung ermittelt werden. Im Anschluss können ORKB CSOs individuell kontaktieren, um einen Termin oder eine schriftliche Stellungnahme anzufordern. 

Bestimmte Prüfungen, z. B. Prüfungen mit einem Schwerpunkt auf Programmen zur Leistungserbringung, profitieren ebenfalls von einer gezielten Bürgereinbindung. Das ANAO kann CSOs in solchen Fällen bitten, die Prüfung unter ihren Mitgliedern zu bewerben. In der Folge haben die Mitglieder die Möglichkeit, ihre Ansichten unabhängig von der CSO über die ANAO-Beitragsanwendung einzureichen. Das Prüfteam kann ebenfalls versuchen, die Prüfung über Medienkanäle, u. a. Zeitungen oder das Radio, direkt bei den von der geprüften Leistung bzw. dem geprüften Programm betroffenen Bürgerinnen und Bürgern zu bewerben. 

Im Rahmen einer Wirtschaftlichkeitsprüfung aus dem Jahr 2019 betrieb das ANAO Feldarbeit auf den Torres-Strait-Inseln, die zwischen der Nordspitze Australiens und Papua-Neuguinea liegen. Das Prüfteam bediente sich Radiodurchsagen auf Englisch und auf der Kreolsprache der Torres-Strait-Inseln, einer Anzeige in der Lokalzeitung und eines von einem Lokaljournalisten geführten Interviews mit dem Prüfungsleiter, um Bürgerinnen und Bürger vor Ort zu ermutigen, ihre Ansichten zur Arbeit der Regierungsstellen zu teilen. 

Klare und einfache Kommunikation

Das öffentliche Bewusstsein für den Zweck und die Tätigkeiten des ANAO stieg in den letzten Jahren an. Das ist hauptsächlich auf Medienberichte im Anschluss an die Veröffentlichung von Prüfberichten zurückzuführen. Dennoch kennt und versteht die Mehrheit der Bevölkerung die Rolle des ANAO nicht gut. Für erfolgreiche Bürgereinbindung ist es wichtig, sicherzustellen, dass die Zielgruppe versteht, warum das Prüfteam Input von der Bevölkerung anstrebt, welche Informationsarten für das Prüfungsziel relevant sind und wie das Prüfteam die Informationen verwendet. 

Es muss versucht werden, die Rolle der ORKB oder das Ziel einer Prüfung klar und deutlich ohne Falschdarstellung oder Verzerrung darzulegen. In Bevölkerungsgruppen, in denen die Menschen mehrere Sprachen beherrschen, ist das von besonderer Bedeutung. Wenn Bürgereinbindung angestrebt wird, prüft das ANAO in diesen Fällen den Einsatz von Übersetzerinnen und Übersetzern bzw. Dolmetscherinnen und Dolmetschern. In Australien kann das professionell und kostenpflichtig über den Translating and Interpreting Service (TIS National), einen von der australischen Regierung angebotenen Dolmetschdienst für Menschen, die kein Englisch sprechen, sowie für Behörden und Unternehmen, die mit nicht-englischsprachigen Menschen kommunizieren müssen, abgewickelt werden. Alternativ kann dies auch bewerkstelligt werden, indem Mitglieder der entsprechenden Bevölkerungsgruppe um Hilfe gebeten werden. Diese zweite Option bietet zwar weniger Vertrauen in die Qualität der Übersetzung, ist unter bestimmten Umständen jedoch praktischer, insbesondere wenn das ANAO Feldarbeit an ländlichen oder abgelegenen Orten betreibt, an denen professionelle Dolmetschungen womöglich telefonisch erfolgen müssen. Zudem ist dies mit den budgetären Einschränkungen der Prüfung möglicherweise besser vereinbar, insbesondere wenn Besprechungen in langen Sitzungen und über mehrere Tage hinweg stattfinden.Das nachstehende Beispiel zeigt Änderungen auf einem Poster. Es wurde eingesetzt, um die Ansichten der am Groote-Archipel (vor der Küste Nordaustraliens) ansässigen Aborigines zur Führung des Anindilyakwa Land Council, einer Organisation zur Unterstützung der Groote-Aborigines bei der Verwaltung ihrer traditionellen Gebiete und Gewässer, einzuholen. Das Bild auf der linken Seite wurde vom Prüfteam entwickelt. Das Bild auf der rechten Seite zeigt die Änderungsvorschläge einer Person aus der betreffenden Bevölkerungsgruppe, die es gewohnt ist, mit Aborigines zu kommunizieren (der Koordinator des Lokalradios).

Abb. 2 und 3: Überarbeitete Poster des ANAO-Auditteams und der Gemeinschaft

Quelle: Australian National Audit Office (ANAO)

Verwendung der erhaltenen Informationen

Mittels Bürger- und CSO-Einbindung erhobene Informationen können eine wichtige Beweisquelle im Prüfungsverfahren darstellen: 

  • Sie verleihen dem Prüfteam ein besseres Verständnis für den sozialen und kulturellen Kontext, in dem die geprüfte Stelle tätig ist und ihre Leistungen erbringt;
  • Sie stellen sicher, dass sich die Prüfung auf jene Fragen konzentriert, welche die größte Bedeutung für die von den Tätigkeiten der geprüften Stelle Betroffenen bzw. ihre Leistungsempfängerinnen und -empfänger haben; und
  • Sie ermöglichen dem Prüfteam, den Ursachen beobachteter Missstände besser auf den Grund zu gehen.  

In der Regel gibt das ANAO die mittels Bürger- und CSO-Einbindung erhobenen Informationen in den ANAO-Prüfberichten nicht wörtlich an. Das ANAO verwendet diese Informationen üblicherweise bei der Ermittlung von Hochrisikobereichen für die Prüfung, die im Anschluss durch Dateien- und Dokumentenanalyse untersucht sowie bewertet werden. 

Im Rahmen einer Wirtschaftlichkeitsprüfung aus dem Jahr 2021 zum Umgang der Regierung mit internationalen Reisebeschränkungen während COVID-19 erhielt das ANAO 1.475 Beiträge von Bürgerinnen und Bürgern sowie CSOs. Das Prüfteam sah alle eingegangenen Beiträge durch und nahm eine thematische Analyse der angesprochenen Problemstellungen vor, um Hochrisikobereiche für die weitere Analyse zu identifizieren. Die Beiträge kamen insbesondere zum Einsatz, um Probleme in Bezug auf die Konsistenz der Entscheidungsfindung zu Reiseausnahmen zu ermitteln.

Herausforderungen der Bürgereinbindung 

ORKB müssen bei der Einbindung von Bürgerinnen und Bürgern sowie CSOs ins Prüfungsverfahren mehrere Risiken bewältigen:

  • Erwartungen steuern – Menschen, die einen Beitrag zum Prüfungsverfahren leisten, teilen manchmal ihre Ansichten zu Problemen, für die sie gerne schnelle Lösungen sehen würden. Sie erwarten sich oft eine sichtbare Verbesserung der Leistung, die sie beziehen, oder in der Arbeitsweise der geprüften Stelle. Durchschnittlich dauert eine Wirtschaftlichkeitsprüfung des ANAO zehn Monate. Es kann womöglich viele weitere Monate dauern, bis die Auswirkungen der Empfehlungen und Erkenntnisse ‚vor Ort‘ wahrnehmbar sind. 
  • Rahmenbedingungen der Wirtschaftlichkeitsprüfungen festlegen – Das ANAO ist nicht dafür zuständig, sich zur Sinnhaftigkeit der Regierungsstrategien zu äußern, sondern konzentriert sich auf die Beurteilung der ordnungsgemäßen Verwendung und Verwaltung öffentlicher Mittel (unter Betrachtung von Effizienz, Wirksamkeit, Wirtschaftlichkeit und Ethik) sowie auf die Umsetzung von Regierungsprogrammen, einschließlich der Erzielung der angestrebten Nutzen. Es ist wichtig, diese Tatsache gegenüber den am Prüfungsverfahren beteiligten Bürgerinnen und Bürgern sowie CSOs deutlich zu machen. 
  • Unabhängigkeit, Neutralität und Objektivität beibehalten – Das ANAO muss das Risiko bewältigen, dass Bürgerinnen und Bürger sowie CSOs, deren Ansichten nur einen Teil des Meinungsspektrums ausmachen, überrepräsentiert sind. Das ANAO ist bemüht, den Eindruck zu vermeiden, dass das Prüfteam nur einer Seite der Debatte Gehör geschenkt hat oder von einer bestimmten Bevölkerungsgruppe beeinflusst wurde, indem es: darauf abzielt, innerhalb der zeitlichen, budgetären und personellen Einschränkungen einer Prüfung eine möglichst breite Öffentlichkeit zu konsultieren; die von Bürgerinnen und Bürgern sowie CSOs erhobenen Informationen mit einer rigorosen Analyse anderer Beweisquellen abwägt und bekräftigt.
References
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